«Dein Land ist Morgen, tausend Jahre schon.» (Ingeborg Bachmann)
Die Kunstgeschichte ist eine Geschichte, die weitgehend von Männern für Männer geschrieben ist. In der zurückgedrängten, über «tausend Jahre» absichtlich «vergessenen» Lage haben sich Künstlerinnen durch ihre Selbstportraits sichtbar gemacht und sich, wie ihre Profession, auf diese Weise für die Nachwelt dokumentiert. Mit Blick auf das Betriebssystem Kunst, wie es sich durch die Jahrhunderte repetiert und in einem doch einseitigen kunsthistorischen Kanon erfasst wurde, kann ihr Selbstporträt als Statement verstanden werden.
Diese Ausgangslage hat mich veranlasst, mich mit Selbstportraits von mir auseinanderzusetzen.
Extrabreite Nylongurte, mit Acrylfarbe bemalt, verwebe ich und spanne sie auf einen Keilrahmen. Das Material der gewebten Gurte verweist auf die Rolle als Kunsthandwerkerinnen, die den Künstlerinnen in der Kunstgeschichte meist zugedacht war - ebenso der Holzrahmen, er auch als Webrahmen gelesen werden kann.
Die Struktur und Breite der Nylongurte begünstigt die stark abstrahierende Rasterung des Selbstportraits. Das ausgeprägt Verallgemeinernde ist dabei gewollt und führt visuell sowohl in die Gegenwart, in der die Digitalisierung mannigfaltige Pixelbilder hervorbringt und zeigt die Beliebigkeit, die durch die Fülle der Bilder in der virtuellen Welt hervorgerufen wird.
Die starke Abstrahierung führt aber auch in die Verschleierung, wie sie die Kunstgeschichte über Jahrhunderte praktizierte.
Die Frau als Künstlerin mit meiner künstlerischen Auseinandersetzung in Erinnerung zu rufen, in Zeiten, in denen die Pandemie die Verschlechterung der Situation von Frauen insbesondere im Betriebssystem Kunst befürchten lassen, ist ein notwendiger wie gleichermassen befriedender Schritt. Ich erhoffe mir dadurch, auf den soziokulturellen Mechanismus der systematischen Ausgrenzung und Diskriminierung aufmerksam zu machen. Denn wer den negierten, vergessenen Teil der Kunstgeschichte sieht und ihn versteht, ist besser davor geschützt, dieselben Fehler zu wiederholen.